Texte von Manchette aus «Chroniques»
Auszüge aus einem Gespräch mit Jean-Patrick Manchette, erschienen in der Zeitschrift Polar
POLAR: Was hat Sie dazu veranlaßt, Kriminalromane zu schreiben?
Ein Zufall. Der Zufall muß, nebenbei bemerkt, für vieles herhalten. Ich war ganz plötzlich gezwungen, meinen Lebensunterhalt und den meiner «kleinen Familie» zu verdienen. Ganz plötzlich, denn eigentlich war ich damals drauf und dran, Englischlehrer zu werden. Übrigens, glaube ich nicht, daß ich das ausgehalten hätte. Schon das Studium habe ich nur schwer ertragen. Als ich dann nach den Sommerferien eine Stelle antreten soll, heirate ich eine wunderbare Frau und stehe mit einer Ausbildungsbeihilfe von 800 Franc und einem Appartement für 600 Franc im Monat da, was ich aber vergnügt hinnehme. Wir werden schon klarkommen, sage ich mir. Melissa, meine Frau, hatte sich auf die IDHEC, die staatliche Filmhochschule, vorbereitet, durch sie kannten wir eine Menge Leute, von denen die meisten übrigens nicht gerade den Durchbruch beim Film geschafft hatten; doch Jean-Pierre Bastid beispielsweise war ein sehr guter Freund, auch wenn wir uns jetzt ein wenig aus den Augen verloren haben.
POLAR: Jean-Pierre Bastid, der dann Massacre pour une orgie gedreht hat?
Dieser Film ist nur teilweise von ihm. Eine Produktionsfirma hatte die vierzig Minuten eines unvollendeten Films in der Art «Gefährtinnen der Nacht» oder «Die Tragödie der Prostitution» aufgekauft und sich daran gemacht, ihn fertigzustellen. Bastid hat beim Dreh ständig nur improvisiert, ein völlig verrücktes Unternehmen, total wahnsinnig und urkomisch. Manchmal ist er genervt, wenn man ihn daran erinnert, daß Massacre teilweise von ihm stammt – allerdings zu Unrecht, es war der reinste Wahnsinn, aber äußerst amüsant. Jedes Mal, wenn irgendein Freund bei den Dreharbeiten vorbeischaute, hat er sofort eine kleine Rolle bekommen. Zu guter Letzt muß es ein Film mit hundert Darstellern gewesen sein.
POLAR: Haben Sie auch mitgemacht?
Ich gehörte zum Umfeld des Ganzen. Ich habe eine Sequenz geschrieben, die aber nicht gedreht wurde. Alle Welt hat eine kleine Sequenz geliefert. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich entschieden, fürs Kino zu schreiben; ich sagte mir: «Beim Film wird man reich!» Ich habe alle möglichen Gelegenheitsjobs in diesem Bereich gemacht, fürs Schulfernsehen, für die Arbeitsunfallverhütung; ich habe auch bei Pornofilmen mitgearbeitet. Zwei Drehbücher für Max Pecas: Une femme aux abois und La Peur et L’Amour; aber im Gegensatz zu anderslautenden Behauptungen habe ich niemals mit José Bénazéraf gearbeitet. Auf seriöserer Ebene habe ich auch fürs Fernsehen an der damals sehr bekannten Familienserie Les Globe-trotters mitgewirkt. Außerdem hatte ich entdeckt, daß ich einigermaßen aus dem Englischen übersetzen konnte, und es ist mir gelungen, etliche Übersetzungen zu machen, um zu überleben. Ich hielt mich unter ziemlich schlechten Bedingungen über Wasser. Daher haben Bastid und ich uns gesagt: Wir kennen uns mit polars gut aus, warum sollen wir keine Bücher für die Série noire schreiben? Wir würden sie ans Kino verkaufen und alle möglichen Dinge zustande bringen. Wir haben angefangen zusammenzuarbeiten, indem wir unsere Entwürfe austauschten. Bei Laissez bronzer les cadavres ging es gut, aber bei L’Affaire N’Gustro ging es nicht gut; der Plot war in gewisser Weise Bastids Thema, und ich habe ihn mir beim Schreiben vollständig angeeignet. Ich habe mir gesagt: «Da ist mein Herzblut drin, das ist mein Ding.» Und ich habe zu Jean-Pierre gesagt: «Ich behalte es». Das hat ihn ganz schön irritiert, weil bei dieser Sache, die ihm am Herzen lag, nun schon zum zweitenmal etwas daneben ging. Ursprünglich sollte er den Film drehen, der schließlich L’Attentat geworden ist. Auf der Grundlage seiner Idee, sich an der Affäre Ben Barka zu orientieren, hat er mit Ben Barzman zusammengearbeitet, dann hat Barzman allein weitergemacht, und letztlich wurde der Film von Yves Boisset gedreht. Bastid hatte das Gefühl, ausgebootet worden zu sein, und sich deshalb entschieden, schnell einen 16-mm-Film nach seinen Vorstellungen zu machen, um alle auszustechen. Ich hatte ihm ein Exposé geschrieben, das Gerüst. Von diesem Exposé ausgehend, schrieb ich L’affaire N’Gustro und sagte ihm: «Nein, hierbei arbeiten wir nun doch nicht zusammen, weil da mein Herzblut drin ist.» Ich bleibe dabei, daß das mein Ding ist, aber andererseits ist es verständlich, daß ihn das zur Verzweiflung bringen mußte. Deshalb und wegen anderer harmloserer Sachen hat sich unser Verhältnis schließlich abgekühlt. Aber vorbei ist vorbei, das ist Vergangenheit ...
Warum gerade Polars, und nicht etwas anderes? Ich hatte keine besonderen Vorkenntnisse vom Polar, aber der Zufall wollte es, daß ich mütterlicherseits eine wirklich erstaunliche Großmutter hatte. Sie war Schottin und Suffragette, jemand, der sich auf Eisenbahnschienen legte und so weiter, und sie gehörte zur ersten Generation von Mädchen, die an britischen Universitäten zugelassen wurde. Als ich acht oder neun Jahre alt war, war sie ungefähr siebzig, hatte noch immer rabenschwarzes Haar, war einen Meter achtzig groß und trug rote Kleider, was in dem kleinen Dorf in der Normandie, in dem sie wohnte, für Aufruhr sorgte; und sie las die Série noire. Durch sie bin ich auf Cheyney und Hadley Chase gestoßen, und ich erinnere mich, daß ich damals sehr beeindruckt war von Elliott Chaze’ Il gèle en enfer: die nackte Frau, die sich nach einem Banküberfall in den Geldscheinen wälzt – so was ist für einen Jungen in der Vorpubertät sehr prägend, es ist meine «Ur-Szene» als Polar-Besessener.
Danach las ich keine Krimis mehr. Als Jugendlicher habe ich vor allem Science-fiction gelesen. Und als ich dann meiner Liebste kennengelernt habe, stellte ich fest, daß sie sich gut mit Polars auskannte, und ich erzählte ihr von dieser Story, an die ich mich erinnerte, und fragte sie: «Hast du eine Ahnung, was das sein könnte?» Und sie antwortete: «Ja, sicher, das ist Il gèle en enfer, den Roman habe ich...»
Kurz davor hatte ich mich mit Carter Brown beschäftigt, der so zwischen 1962 und 64 bei den Studenten groß in Mode war. Dann habe ich, dank Melissa, die ganze Série noire gelesen, vor allem die Klassiker: Chandler, Hammett, Charles Williams, John D. MacDonald, Jim Thompson, alle eben. Der einzige Große, der mir später, um 1969 herum, noch fehlte, war Richard Stark/Donald Westlake, den ich erst danach entdeckt habe. Wie alle Liebhaber habe ich mich daran gemacht, seltene Perlen zu suchen: Man wählt die Bücher nach dem Übersetzer aus, oder man sucht systematisch nach den Autoren, die nur ein oder zwei Bücher geschrieben haben und findet so den klasse Roman À nos amours von P.J. Wolfson oder die beiden Paul Cain, À tombeau ouvert und Sept tueurs, oder Je suis un sournois von Peter Duncan, der an einen optimistischen Jim Thompson erinnert, und Stephen Geller, Edmund Naughton, Peter Loughran, Le Grossium von Stanley Crawford etc. etc.
Da ich vom amerikanischen Polar vollkommen eingenommen war, hingegen überhaupt nicht von den französischen Autoren, schien es mir ganz natürlich, ja selbstverständlich, dem Weg der «kritischen Realisten» zu folgen. Für mich war der Polar immer – und ist es noch – der Roman der sehr harten gesellschaftlichen Einmischung. Also bin ich in diese Richtung aufgebrochen, in die mich auch meine Erfahrung als Ultralinker drängte. Zu Beginn der 60er Jahre (ich war achtzehn Jahre alt) gehörte ich zur aktiven Linken. 1960 war Algerien Anlaß meiner politischen Aktivität. Da sich das Ganze in der Provinz abspielte, nämlich in Rouen, verlief es eher gemütlich und entspannt (ich habe sogar erlebt, wie die Bereitschaftspolizei buchstäblich mit dem Signalhorn zum Angriff geblasen hat), da gab es so was wie «autonome Gruppen», wie die Anarchos sagen würden: auf der einen Seite des Raums die Amateur-Jazzband, auf der anderen die Hektographiermaschine, auf dem das lokale Blatt der Nationalen Befreiungsfront Algeriens (FLN) abgezogen wurde, eigenartige Leute kamen vorbei... Nach 1962 habe ich mich dann ernsthaft in Organisationen engagiert: Ich war gleichzeitig Mitglied bei den Vereinigten Sozialisten (PSU), in der kommunistischen Studentengruppe und in einer illegalen Splittergruppe, die «La Voix communiste» – Die kommunistische Stimme – hieß, in der es Leute gab, die vor allem von den Trotzkisten und aus der Kommunistischen Partei (PC) kamen; Leute, die mit der PC wegen einer Reihe unterschiedlicher Fragen gebrochen hatten: Jugoslawien, Togliattismus, Ungarn, Algerien – am Ende gab es sogar die ersten Maoisten. Einig waren sich alle nur in bezug auf Algerien. Zwei Jahre nach dem Ende des Algerienkriegs haben sich alle ihre Schreibmaschinen an den Kopf geworfen. Da war ich schon nicht mehr dabei. Ich hatte in den Jahren 1962 bis 64 an den Studentendemonstrationen teilgenommen, bin dann nach England gegangen, wo ich gleichzeitig meine Liebste und die Série noire kennengelernt habe. Bei meiner Rückkehr waren die Organisationen zusammengebrochen, die Mitglieder verstreut; und übrigens auch umgekehrt; dann ist mir die Zeitschrift der Situationisten in die Hände gefallen; und ich hatte bereits begonnen, ein wenig nachzudenken, die Klassiker und die marxistischen Außenseiter nochmals zu lesen, wie auch den modernistischen Marcuse, und da sagte ich mir: Ich habe völligen Mist gebaut, ich habe den Cowboy gespielt, ich habe den Bolschewiken gespielt, was heißt denn aktiv sein? Und so weiter und so fort.
Was mich aber nicht davon abgehalten hat, mich weiter für die soziale Bewegung zu interessieren. Im Gegenteil. Ich lese weiterhin die Theoretiker und nehme die Zeitungen immer noch genau unter die Lupe. Diese Dinge fließen natürlich auch in meine Polars ein.
POLAR: In Ihren Büchern hat man den Eindruck, daß Sie kaum einen Ihrer Protagonisten favorisieren, daß es sich ganz selten um positive Figuren handelt, deren politisches Engagement zudem ins Nichts führt...
Ich vertiefe mich nicht in die psychologischen Geheimnisse meiner Figuren. Mir scheint es in der Natur des Roman noir zu liegen, daß er schwarz ist, daß er keine positiven Figuren kennt oder fast keine, bis auf den «Privat»detektiv. Was mir am meisten gefällt, sind Polars, in denen die Figuren in die Falle tappen, unter Druck geraten, ausflippen und ein schlimmes Ende nehmen.
Seit Jahren muß ich mich von meinem Sohn beschimpfen lassen, weil ich seiner Meinung nach ein positives Buch schreiben soll, eines, das gut ausgeht; bis heute habe ich das nicht geschafft.
POLAR: Dennoch hat man den Eindruck, als gäbe es bei der Figur Eugène Tarpon, dem ehemaligen Gendarmen, der Privatdetektiv geworden ist, eine Entwicklung zwischen Morgue pleine und Que d’os. Er scheint gelernt zu haben, wieder aufzuleben. Sollte Tarpon sich von Ihnen verselbständigen?
Das Problem Tarpon ist etwas Besonderes. Zunächst einmal ist er ein «Privatdetektiv», also das Positivste, das es überhaupt geben kann. Und mir war danach, und ist es immer noch, mit ihm eine Reihe zu machen, also kann ich ihn nicht umbringen. Und dies bedeutet, daß er kein Desperado sein kann, wie es meine sonstigen Figuren sind; in gewisser Weise ist er schwerfälliger, er spielt nicht mit so hohem Einsatz und hat eine saumäßige Schreibe. Die Bücher, in denen er vorkommt, sind mit absichtlicher Schwerfälligkeit geschrieben, was der Handschrift der Figur entspricht. Er ist absolut kein Intellektueller, wie die meisten anderen meiner Helden; er ist ein Bauerntrampel. Ein Bauerntrampel, der Interesse zeigt, der sich entwickelt. Inzwischen habe ich Probleme mit ihm, denn ich denke, daß er jemand ist, der es nicht mehr ertragen wird, auch als Privatdetektiv wie ein Flic zu funktionieren. Er ist nun nicht mehr fähig, jemanden zu schnappen, der sich in einem Lagerhaus bedient. Der nächste Tarpon, falls es einen gibt, was ich jedoch hoffe, kann nicht mehr Apothekenhelfer verfolgen, die verdächtigt werden, in die Kasse zu langen, oder Jagd auf Diebe machen. Er dreht sich nicht im Kreis, er befindet sich auf einem eigenen Weg, vielleicht wird er am Ende sogar ein befriedigendes Liebesleben finden und die Welt verstehen, in der er lebt.
POLAR: Wie sind die Abenteuer von Tarpon entstanden?
Morgue pleine war sehr schnell geschrieben, eigentlich wollte ich etwas ganz anderes schreiben und habe mich dann verheddert. Ich mußte unbedingt ein Buch fertigkriegen, um meine Steuern bezahlen zu können. Ich habe mich mit einer sehr vagen Grundidee auf dieses Buch gestürzt, es gab so gut wie kein Konzept. Schließlich habe ich mich aus der Affäre gezogen, indem ich mir sagte, wenn es schlecht geschrieben ist, wird das dem mangelnden Ausdrucksvermögen dieses Bauerntrampels angelastet. Den Journalisten, die Figur des Jean-Baptiste Haymann, habe ich eingeführt, um nicht alles aus Tarpons Sicht erzählen zu müssen. Aber Sie sehen, welches Problem durch die Eile entstand: Ich habe ihn Jean-Baptiste (Johannes-der-Täufer) genannt, irgendwann wird es also erforderlich sein, im Nachhinein zu erklären, daß er ein Sohn konvertierter Juden ist, um seinen äußerst christlichen Namen zu rechtfertigen; eine eindeutige Ungereimtheit, die aufs Drauflosschreiben ohne Konzept zurückgeht.
POLAR: L’Homme au boulet rouge ist ein Western – eine Koketterie des Cineasten?
Das ist ganz einfach die auftragsgemäße Überarbeitung eines Drehbuchs. Barth Jules Sussman war ein junger amerikanischer Filmemacher, der sein auf Englisch verfaßtes Drehbuch zum Verlag der Série noire gebracht hat, weil er wissen wollte, ob man daraus einen Roman machen könne. Soulat hat sich daran erinnert, daß ich Adaptionen machte, wenn ich Geld brauchte. Ich hab mir gesagt, warum nicht? Die Dialoge und der Plot sind streng am Drehbuch orientiert, und der Text ist systematisch durch völlig unpassende marxistische Abschweifungen in die Länge gezogen. Hätte ich mich aber frei gefühlt und den Text von Sussmann nicht respektiert, dann hätte ich die Baumwollplantage angezündet und den Besitzer nicht davonkommen und auch noch ein Vermögen machen lassen.
POLAR: Es war zu lesen, Fatale sei ursprünglich die Story für einen Comic-Band gewesen?
Nein, ganz und gar nicht. Eine Fassung als Comic strip war zwar erwogen worden, aber zunächst war es ein Filmstoff. Ich hatte Claude Chabrol von meiner Idee erzählt, und er hat mir gesagt: «Wunderbar, das machen wir, leg los». Ich habe also das Drehbuch geschrieben, und dann habe ich gedacht, das könnte ein Buch abgeben. Ich hab den Schmöker geschrieben, und die Produzenten wollten von der Story nichts wissen. Dionnet vom Comic-Blatt «Métal hurlant» hat mich mit dem Zeichner Tardi bekanntgemacht, und wir haben uns an eine Comic-Bearbeitung gesetzt, es dann aber sein lassen und statt dessen «Griffu» gemacht...
POLAR: Um zur Literatur zurückzukommen: Glauben Sie nicht, daß Sie den Grand Prix de Littérature policière deshalb nicht für Nada, sondern für Ô dingos, ô château! bekommen haben, weil die Welt des Polars sich weigerte, ein eindeutig politisches Werk auszuzeichnen?
Ich weiß nicht. Jedenfalls gab es den Preis 1973 für ein Buch, das 1972 erschienen ist...
POLAR: Was denken Sie über die neuen französischen Autoren des Polars, und zwar unter dem Aspekt, daß man diese sehr oft an Ihren Büchern mißt?
Viele der Neuerscheinungen werden von manchen (und von mir zuerst) als Neo-Polars bezeichnet und gelegentlich wegen ihres Inhalts mit meinen Schmökern verglichen, weil darin Pfaffen, Bourgeois und Bullen getötet werden, und weil die Bösen darin Baulöwen, Industrielle usw. sind. Schön, es handelt sich um «linke» Bücher mit einer unmißverständlichen Botschaft; aber ein Buch ist nicht deshalb gut, weil es eine linke Botschaft hat. Offenbar gibt es da eine Mode, also einen Markt: Jedes beliebige harte Buch, das als links gilt und mehr oder weniger gut auf Französisch geschrieben ist, findet einen Verleger, und ich habe den Eindruck, daß da enorm viel Mist entsteht – geschrieben von Leuten, die, politisch gesehen, bestimmt sehr sympathisch sind –, aber ich glaube, daß da oft nur leeres Stroh gedroschen wird, wie meine Großmutter immer sagte...
Ich glaube nicht, daß es schon reicht, wenn die Leute aus der rechten Ecke die «Bösen» und die aus der linken die «Guten» sind, damit daraus ein gutes Buch entsteht. Das ist klar. Außerdem glaube ich, daß die Leserschaft für linke Neo-Polars letztlich sehr begrenzt ist. Dagegen gibt es ein Phänomen, das mir äußerst interessant erscheint, obwohl es mich selbst nicht begeistert, nämlich die stilistische Kontamination des Polars durch die «gehobene» Literatur, das gegenseitige Durchdringen der Gattungen. So macht etwa Vautrin einen auf Queneau und nebenbei auf Céline; Prudon hat ebenfalls einen sehr gepflegten Schreibstil. Ist zwar nicht mein Ding, aber interessant ist es doch...
Man mag Nada als Maßstab nehmen, aber ganz abgesehen davon, daß dies etwas willkürlich ist, gab es da auch noch ADG, der in diese neue Richtung gegangen ist, auch wenn er eher ein Erbe Simonins ist; oder auch Raf Vallet, Bastid und andere, und vor allen Dingen Siniac, der zwar keineswegs ein alter Mann, aber doch eine Art großer Vorfahr des «literarischen» Polars ist.
POLAR: Wie stehen Sie zum Polar als eigenständiges Genre und seinem Verhältnis zum sogenannten «neuen» Polar?
Über diese Frage habe ich bereits gründlich nachgedacht: «Was ist der Polar? Was heißt es, einen Polar zu schreiben?» – Ich bin ein unverbesserlicher Intellektueller, wofür ich mich übrigens nicht schäme. Ich mache es wie die großen Amerikaner, aber es wie die großen Amerikaner zu machen, heißt, etwas anderes als sie zu machen; das ist das Problem in «Pierre Ménard, Autor des Quichotte»! Was tut man, wenn man ein Ding mit zeitlicher Distanz nochmal macht, und dieses Ding nicht mehr Thema der Epoche ist? Es gab eine Epoche des amerikanischen Polars. Anfang der 70er zu schreiben, bedeutete, einer neuen sozialen Realität Rechnung tragen zu müssen, aber auch der Tatsache, daß die Form des Polars überholt, weil seine Zeit vorbei ist: Eine überholte Form wiederzuverwenden heißt, ihr Bezugssystem zu verwenden, das bedeutet, sie zu ehren, indem man sie der Kritik unterzieht, sie übertreibt, sie bis zum äußersten verdreht. Ja, selbst sie zu respektieren, heißt noch, sie zu verdrehen. Das versuche ich in meinem nächsten kleinen unbedeutendem Werk: sie über die Maßen zu würdigen, die Form des Polars 200-prozentig zu respektieren. Verglichen mit dieser Frage, die streng genommen die Ästhetik berührt, ist die Frage nach linken Inhalten, die wirre Kritiker zur wesentlichen machen wollen, einfach idiotisch.
POLAR: Ein Fazit?
Wir alle, die einen wie die anderen, betreiben unser Handwerk weiter, obwohl wir vom Markt, von der Kritik und von zweitausend Jahren Kultur, die sich in unseren Köpfen aufgetürmt haben, traktiert werden. Wir sterben daran, oder wir bleiben blöd. Man kann auch verrückt werden, was moderner ist. Meine Prognose fällt äußerst ungünstig aus.
Diese Äußerungen wurden bei ZWEI Flaschen Scotch von François Guérif und Jean-Pierre Deloux festgehalten, dann von Manchette durchgesehen und korrigiert, bis kein Stein mehr auf dem anderen blieb.
Juni 1980